Die Predigt von Abt Raimund Schreier zum Nachlesen:
„Der Rasierseifendosendeckel“, so betitelt unser vor einigen Wochen heimgegangener Altbischof Reinhold Stecher in seinem Buch „Augenblicke“ eine seiner biographischen Erzählungen. Der junge Student Reinhold hatte in den Augen des damaligen Nazi-Regimes ein schlimmes Verbrechen begangen: Er hatte als begeisterter Katholik eine Wallfahrt auf die Waldrast organisiert. Grund genug, ihn in Isolierhaft des Gestapogefängnisses hier in Innsbruck zu stecken.
Diese perfekte Organisation des Staatsterrors litt jedoch auch hie und da unter den Irrläufen der Bürokratie. So kam es, dass er mit einem Freund zusammengesperrt wurde. Es war der neugeweihte Priester Georg. Ein zweiter Glücksfall kam hinzu: Unter den Wächtern war ein älterer, ehemaliger österreichischer Polizist, der als überzeugter Katholik – manchmal unter Lebensgefahr – so manchen guten Dienst tat, besonders diesen beiden jungen Burschen gegenüber.
„Eines Tages“, so schreibt Stecher, „brachte der besagte menschenfreundliche Polizist (der später im Dienst umgekommen ist) ein kleines Päckchen mit etwas Weißbrot und einem Marmeladeglas. Das waren an sich schon seltenste Kostbarkeiten. Aber in dem Weißbrot steckten Hostien und im Marmeladeglas ein kleines Fläschchen mit Messwein. Und so konnten wir nach vielen Wochen der Einzelhaft daran denken, miteinander Eucharistie zu feiern. Das Kanongebet konnte Georg auswendig, ein Evangelium brachten wir auch aus dem Gedächtnis zusammen, sogar die Lesung aus dem Ersten Korintherbrief, dem Hohen Lied der Liebe.
Es gab in der Zelle einen winzigen Klapptisch – er musste als Altar dienen. Als Altartuch genügte ein Taschentuch. So blieb nur noch die Frage des Kelches.
Wir hatten nichts anderes als eben den genannten Rasierseifendosendeckel.
Allerdings war eine liturgische Probe ungewöhnlicher Art notwendig. Da das Öffnen der Zellentür wegen der doppelten Sperre immer einige Sekunden dauerte, mussten wir unbedingt trainieren, alle Spuren mit blitzschnellen Handgriffen zu beseitigen. Im Fall der Entdeckung wären wir sofort ins KZ überstellt worden. Ich musste mich mit dem Hinterkopf gegen den Spion lehnen, sodass von außen unmittelbar nichts zu sehen war, und dann übten wir das rasche Verschwindenlassen.
So feierten wir Eucharistie unter dem winzigen Gitterfenster.
Ich habe ja in meiner langen Priesterlaufbahn viele heilige Messen gefeiert, in schönen Kirchen und prachtvollen Altären, auf Bergspitzen und Waldwiesen, mit Schulklassen und Wallfahrern, in Gemeinden und auf Großfesten, feierliche Pontifikalmessen und Papstmessen im großen Kreis der Bischöfe und Priester.
Dabei habe ich Kelche in der Hand gehabt, die Wunderwerke der Goldschmiedekunst waren, mit blitzenden Edelsteinen und kostbaren Medaillons. Ich habe heilige Messen erlebt im bunten Farbenspiel hoher Glasfenster und mit der Musik von Mozart, Beethoven und Haydn unter den Kuppeln und Gewölben. Aber immer wieder gehen meine Gedanken zurück zu dem Klapptisch, der Gitterfensterbeleuchtung und dem ängstlichen Lauschen auf das Schlüsselrascheln im Gang – und zu dem Rasierseifendosendeckel; ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass in dieser bedrohten Ärmlichkeit das Geheimnis des Abendmahls mit einer nie mehr erlebten Wucht präsent war.
Auch schon aus der verfolgten Urkirche sind uns solche. Begebenheiten überliefert, wie z. Bsp. die Aussage der Märtyrer aus Abitana in der Provinz Afrika proconsularis, die ihren Anklägern folgendes antworten: „Wir haben ohne jede Furcht das Mahl des Herrn gefeiert, weil man es nicht verschieben darf. Wir können nicht ohne das Mahl des Herrn leben!“ So das Bekenntnis von Christen aus dem 4. Jahrhundert. Zu allen Zeiten, ganz besonders in den Perioden der Verfolgung, ist die Eucharistie das Geheimnis des Lebens der Christen gewesen: Ohne Eucharistie vermögen wir nichts!
Durch die Eucharistie lebt Jesus Christus in uns und wir in ihm, wie in einer Art Symbiose und wechselseitigen Immanenz: Er lebt in mir, bleibt in mir und handelt durch mich.
Wenn wir heute Eucharistie feiern, so ist es in groben Zügen dieselbe heilige Messe wie vor fast 2000 Jahren: dasselbe Kyrie, dasselbe Credo, dasselbe Evangelium und dieselben Wandlungsworte. Natürlich gibt es verschiedene Formen und Rituale, die uns helfen, die Messe andächtiger und bewusster mitzufeiern. Da wurde wunderbare sakrale Musik komponiert; da gibt es verschiedene Formen der Architektur eines Gotteshauses; da gibt es Düfte und Farben, die uns dieses Geheimnis näher bringen wollen. Der eine liebt eher eine einfache Messe auf einem Berg, der andere eine Kinder- oder Jugendmesse, wieder andere ein feierliches Pontifikalamt im Dom oder in einer Stiftskirche. Aber letztlich ist es immer dieselbe heilige Messe, dasselbe Geheimnis.
Immer wieder passiert es, dass Menschen sich über Äußerlichkeiten aufregen: der Pfarrer predigt zu lange; die Orgel spielt zu langsam; das Kinderelement ist zu kurz gekommen oder es wurde zu wenig auf uns Senioren geachtet. Das alles ist nicht unwichtig, aber es ist zweitrangig! Es geht um das Geheimnis der Eucharistie. Es geht um die Wandlung. Wir können ohne Eucharistie nicht leben!
Eucharistie und ihre Konsequenzen: Wenn Sie auf die Titelseite des Liedblattes schauen, dann finden Sie dort ein wunderbares Fresko aus der Wallfahrtskirche Maria Schnee bei Virgen in Osttirol. Ich durfte dort letztes Jahr eine Familienwallfahrt zelebrieren. Auf diesem Fresko sehen Sie Jesus zweimal dargestellt: Sie sehen ihn oben beim letzten Abendmahl, wie er seinen Leib austeilt an seine 12 Apostel. Und Sie sehen ihn noch einmal im Bild unten bei der Fußwaschung. Der Evangelist Johannes bringt keinen Abendmahlsbericht. Er erzählt nur die Fußwaschung. Er will damit sagen: Die Konsequenz der hl. Messe ist die Fußwaschung.
Die hl. Eucharistie ist eine höchst gefährlich Gabe und Aufgabe. Wenn wir nämlich ernsthaft und nicht oberflächlich mit dem Herrn kommunizieren, das heißt in Gemeinschaft treten, dann lassen wir uns ein auf ein Leben, das sich hingibt, das sich verschenkt. Dann lassen wir uns ein auf die göttliche Liebe. Eucharistie muss Konsequenzen haben! Ich lasse mich darauf ein, ein „anderer Christus“ zu werden: also ein Christ, der als erster liebt, der den ersten Schritt macht zur Versöhnung, zum Dialog, zur Hingabe. Bei der Feier der Eucharistie lassen wir uns ein auf die Wandlung in einen anderen Christus.
Die Wandlung in der hl. Messe ist der eine Teil der Eucharistie. Die Wandlung meines Herzens nach der Kommunion ist der andere Teil, die Konsequenz. Deshalb sendet uns der Priester oder Diakon am Ende jeder Messe: Gehet hin in Frieden! Geht und handelt genauso wie Christus! In der lateinischen Sendung heißt es: Ite, missa est – geht, jetzt ist Messe, jetzt hört die Messe nicht auf, jetzt beginnt deine Messe; deine Sendung beginnt jetzt. Nach jeder Eucharistie müssten wir eigentlich anders hinausgehen, als wir hineingegangen sind. „Wer Gott begegnet, muss auf einem anderen Weg heimkehren, als er gekommen ist“, sagt Charles de Foucauld. Stellen Sie sich vor, wenn alle Christen, die am Sonntag in Innsbruck in die hl. Messe gehen, als verwandelte Christen herauskämen und so Sauerteig wären für unsere Stadt!
Wir kennen wahrscheinlich alle den Text des Frankfurter Pfarrers Lothar Zenetti mit der Überschrift „Inkonsequent“:
Frag hundert Katholiken,
was das Wichtiges ist
in der Kirche.
Sie werden antworten: die Messe.
Frag hundert Katholiken,
was das Wichtigste ist
in der Messe.
Sie werden antworten: die Wandlung.
Sag hundert Katholiken, dass das Wichtigste in der Kirche
die Wandlung ist.
Sie werden empört sein.
Nein, alles soll bleiben, wie es ist!
Liebe Mitchristen!
• Danken wir für dieses unsagbare Geschenk, für diese Stärkung unseres Lebens, die heilige Kommunion, die dichteste Gemeinschaft mit Christus. Ohne Eucharistie können wir nicht leben!
• Und lassen wir uns von Christus wandeln, damit wir anders hinausgehen, als wir hereingekommen sind. So sei es!