Bei verschiedensten Anlässen, Empfängen und Besuchen werde ich als Priester fast immer auf die gleichen Fragen angesprochen: Was sagen Sie zum Thema Sakramentenempfang für Geschieden-Wiederverheiratete, Priesterweihe der Frauen, Aufhebung des Zölibates usw. Oder es kommt das übliche Gejammer – meist von solchen, die mit der Kirche kaum bis gar nichts mehr zu tun haben: Der Kirchenbesuch geht zurück! Die Leute haben kein religiöses Wissen mehr; die christlichen Werte verschwinden; die Gottes-dienste sind ziemlich fad und lebensfremd. Die anderen Religionen breiten sich bei uns immer mehr aus. Wir Christen werden immer weniger und so fort.
Wenn man die Betreffenden dann hinweist, dass es auf jeden von uns ankommt, dass und wie wir Christsein vorleben, dann gibt es meist Themenwechsel oder die übliche Tiroler Erklärung - im O-Ton: „Du kennsch mi ja. I bin a guata Chrischt. Ich geh mindeschtens zwoamal im Jahr in die Kirchn, z’Weihnachtn und z’Oaschtan. I tua koan was, umbracht hab i a no koan. Sündign tua i a nit – höchstns a mal zviel Süßes oda amal a Zigarettl, des isch mei einzigs Laschta. Und außerdem zahl i mein Kirchenbeitrag und spendn tua i a hin und wieder.“
Heute, am Fest eines Apostels und Missionars, eines von der jesuanischen Botschaft, noch mehr von der Person Jesu innerlich zutiefst erfüllten Nachfolgers, stelle ich die Frage:
Wie glaubwürdig ist unser aller Christsein?
Geben wir als Einzelne wie auch als Gemeinden in unserem Leben wirklich Zeugnis von diesem Jesus von Nazareth?
Ist es nicht so, dass unser Christsein sehr seicht und oberflächlich, höchstens in Traditionen und Ritualen noch existiert, sich nicht einwurzelt ins Leben? Das lateinische Wort für Wurzel heißt „radix“. Daher auch das Wort radikal. Sind wir nicht radikal genug?
Oberflächliches Christentum hat nichts mit Christus zu tun. Es erinnert eher an einen Sozialverein, den wir natürlich auch brauchen. Aber nur ein bisschen spenden, nett und lieb sein, das ist zu wenig. Christus verlangt klare Entscheidungen, er verlangt eine existenzielle Antwort; Christentum ist nicht harmlos und ist nicht anspruchslos.
In dem bekannten Lied, das wir bei der Gabenbereitung singen werden, „Sonne der Gerechtigkeit“, heißt es in der zweiten Strophe:
„Weck die tote Christenheit aus dem Schlaf der Sicherheit,
dass sie deine Stimme hört, sich zu deinem Wort bekehrt.
Erbarm dich, Herr.“
Wenn wir das Evangelium aufschlagen, dann finden wir ungefähr ein Drittel der Jesus-Worte als dringlich; sie stellen den Menschen vor eine klare Entscheidung, rufen eindringlich zur Umkehr, in die Nachfolge. „Kehrt um und glaubt an das Evangelium“ (Mk 1,16), so die ersten Worte im Markusevangelium. Kehrt um! Weck die tote Christenheit, dass sie deine Stimme hört, sich zu deinem Wort bekehrt!
Ist eigentlich Bekehrung noch eine Erfahrung, mit der wir rechnen? Rechnen wir noch mit dem Einfall Gottes in unser Herz, so dass Er wirklich Veränderung bewirken könnte, vertieften Glauben, größere Liebesfähigkeit, mehr Sehnsucht nach Ihm, dem lebendigen Gott?
Vor 900 Jahren hat unser Ordensgründer, der hl. Norbert sich bekehrt – und zwar radikal. Er hat mit seinem egoistischen, nur mit Vergnügungen und seinem reichen Leben am Königshof radikal gebrochen. Norbert zieht sich 40 Tage in ein Kloster zurück, um dort in Exerzitien sich ganz Gott zuzuwenden und beginnt dann ein neues Leben. Er hat sein Herz geöffnet, sodass Gott einziehen konnte.
Das Neue Testament und die gesamte Geschichte der Spiritualität bezeugen solche Beispiele der radikalen Bekehrung.
Wir erinnern uns an die berühmte Pfingstpredigt des Petrus. Petrus legt ein klares Bekenntnis zu Jesus Christus ab. Und wie reagieren seine Zuhörer? Da schreibt Lukas in der Apostelgeschichte: „Als sie das hörten, traf es sie mitten ins Herz“ (Apg 2,37). Und sie fragen Petrus: Was sollen wir tun? Und Petrus antwortet ihnen: Kehrt um!
Umkehr bedeutet Hinkehr zu Gott. Ich muss mich vom alten Leben abwenden und mich einem neuen Leben zuwenden, zu einem Leben im Geist Gottes, durch den ich getauft und gefirmt worden bin. Und dieser Geist ist es, der in die eigentliche Bekehrung führt; er kann mich verwandeln in ein neues, besseres, gottgefälliges Leben. Nur so können wir auch unsere Gesellschaft, unsere Welt, unsere Kirche erneuern.
Liebe Gemeinde von St. Bartlmä!
Wir alle als Kirche von Wilten, als Kirche von Innsbruck, als Weltkirche haben nichts mehr nötig als eine Erneuerung des Glaubens, die Erfahrung von echter Bekehrung hin zu Christus. Es gibt keine Alternative zu ihm. An ihm führt kein Weg vorbei. Deshalb rufe ich uns alle auf, dass wir von neuem lernen:
Täglich und leidenschaftlich zu beten. Wir brauchen das Gebet. Ich bin überzeugt, dass aufrichtiges, inständiges, fortwährendes Gebet lebenswichtig ist. Vergessen wir nicht auf das Gebet: am Morgen, am Abend, vor der Mahlzeit; beten wir als Einzelne wie auch als Familien! Mein größter Wunsch wäre es, wenn immer mehr Menschen sich finden, die miteinander Gott die Ehre geben, die von neuem noch mehr Orte des fortwährenden, innigen und frohen Gebetes erwachsen lassen. Es gibt sie schon. Aber wir brauchen noch mehr. Es wäre schön, wenn sich kleine Gruppen finden, die regelmäßig eine oder mehrere Stunden in der Woche Zeit schenken für das Gebet: für Lobpreis und Anbetung, für die Sehnsucht nach Erneuerung aus der Kraft seines Geistes. Oder die mit uns Prämonstratensern das Chorgebet mitfeiern.
Und eine zweite Antwort auf das an uns gerichtete Heilsangebot des Herrn ist die Liebe, die leidenschaftliche Liebe zu Christus als Antwort auf seine Liebe zu uns. Die göttliche Liebe ist eine andere Liebe als die menschliche. Diese Liebe erwartet nichts, gibt umsonst, schließt niemanden aus. Und diese göttliche Liebe hilft und lehrt uns, den Nächsten wie uns selbst zu lieben. Liebe ist das wichtigste Zeugnis. Aber ohne Beziehung zu Christus können wir nicht lieben so wie Gott liebt.
Eine dritte Antwort wäre: die Neuentdeckung der Heiligen Schrift. Wir brauchen Leser und Verkünder, die das Wort Gottes betend lesen und lesend beten, immer neu. Ich bin überzeugt, dass solchen Lesern nach und nach ein Schlüssel zuwächst, der ihnen hilft, die Schrift für andere aufzuschließen. Auch so begegnen wir dem Herrn, der in seinem Wort zu uns spricht.
Liebe Mitchristen!
Wenn wir durch leidenschaftliches Gebet,
durch leidenschaftliche Liebe
und durch die Neuentdeckung der Heiligen Schrift
eine ganz tiefe Beziehung zu Christus bekommen, und aus dieser Beziehung heraus leben, dann erschließen sich uns auch die Sakramente, ganz besonders die heilige Eucharistie. Dann werden wir während der heiligen Messe nicht mehr auf die Uhr schauen; dann werden wir einen heiligen Raum in großer Ehrfurcht betreten und in die Knie fallen vor dem göttlichen Geheimnis.
Zu dieser radikalen Umkehr möchte ich uns alle einladen am Fest des Apostels Bartholomäus, der erfüllt von Jesus Christus, hinausgegangen ist zu den Menschen – bis nach Indien, und der für diesen Jesus sein Leben hingegeben hat.
„Weck die tote Christenheit aus dem Schlaf der Sicherheit, dass sie deine Stimme hört, sich zu deinem Wort bekehrt. Erbarm dich, Herr.“ Amen.